Der erste Abend der Bremer Gespräche zur Zeitkultur – ein Bericht

Am 03. November 2011 fand die Auftaktveranstaltung der Bremer Gespräche zur Zeitkultur im Haus der Wissenschaft statt. Das DGfZP-Mitglied Prof. Dr. Hartmut Rosa (Universität Jena) war der Referent dieses ersten Gesprächsabends unter der Überschrift „Beschleunigung – Symptom unserer Zeit?“ In die Gesprächsreihe der DGfZP führte Ulrich Mückenberger ein – dazu kommentierten der Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche, Renke Brahms, und die Bremer Landesfrauenbeauftragte, Ulrike Hauffe, warum sie die Gesprächsreihe ideell und materiell unterstützen. Dann analysierte Rosa die Auswirkungen von Beschleunigungstendenzen in unserer Gesellschaft anhand oft illustrativ vorgetragenen Beschleunigungserfahrungen (auch) aus seinem eigenen Alltag. Er leitete die von ihm in seinem Werk „Beschleunigung“ (2005) diskutierten drei Beschleunigungsdimensionen aus der Alltagspraxis her. Im weiteren Verlauf stellte er den existenziellen Zusammenhang zwischen Moderne und Beschleunigung dar – und ging auch auf die Frage ein, weshalb sich Individuen diesen Interdependenzketten nicht einfach entziehen können.

Bei den von den DGfZP-Mitgliedern Ulrich Mückenberger, Nadine Schöneck-Voß und Björn Gernig organisierten Bremer Gesprächen zur Zeitkultur folgt auf die Rede des Referenten, im Regelfall eines DGfZP-Mitgliedes, der Kommentar einer Bremer Persönlichkeit. Am ersten Abend gab Susanna Christinck, selbständige IT-Beraterin und 1. Vorsitzende des Business and Professional Women (BPW) Germany Club Bremen e.V., eine Replik auf Rosas Theorie. Bemerkenswerterweise teilte Susanna Christinck die von Hartmut Rosa vorgetragenen „bedrohlichen Beschleunigungsdarstellungen“ nicht. In dem von hohen Veränderungsraten gekennzeichneten IT-Bereich ist Beschleunigung zwar ein zentraler Aspekt. Die daraus resultierenden Anforderungen seien aber durch bewussten Umgang mit Zeit zu bewältigen; sie könnten dann zu Flow-Erlebnissen, müssten nicht zwangsläufig zu Burn-out-Erfahrung führen.

Das anschließende offene Gespräch wurde durch das facettenreiche und rund 120 aufmerksame Köpfe umfassende Publikum – das sich weit über die Hälfte aus unter 30-jährigen und zu 2/3 aus Frauen zusammensetzte – bestimmt und überaus lebendig geführt. Nur drei Beispiele: Ein junger Mann aus einer Arbeitsgruppe der globalisierungskritischen Vereinigung attac zur Bankenkrise zog die Schlussfolgerung, dass bei den Finanzmärkten der Faktor „Zeit“ – und damit Beschleunigung – viel stärker beleuchtet werden müsse. Ein Künstler bestätigte die Unmöglichkeit der Entschleunigung qua Technikverweigerung, da dies zu einem faktischen Kommunikationsabriss des sozialen Netzes führe. Eine Dame mittleren Alters konnte der Rosa’schen Beschleunigungstheorie überhaupt nichts abgewinnen. Schließlich wurden Handlungsmöglichkeiten zur Entschleunigung diskutiert. Fast alle ausgelegten Flyer der DGfZP waren nach der Veranstaltung vergriffen, sodass die DGfZP mit ihren zeitpolitischen Forderungen auf Interesse, vielleicht sogar Mitgliederzuwachs hoffen kann.

Alle kommenden Termine finden Sie hier auf http://www.bremer-zeitkultur.de

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